Den Vergleich mit anderen entkräften

Kürzlich beim Singen ist es mir wieder passiert: Ich bekam den Frust. Diesen richtig grossen, umfassenden, „Nichts-funktioniert“-Frust, der einen so richtig herunterzieht. Wir möchten dann am liebsten alles an den Nagel hängen, diese Sache nie wieder tun und uns sowieso für alle Ewigkeit eingraben. Oder so ähnlich. Naja, ich habe dann einfach aufgehört zu proben, weil ich ja weiss, dass das nur eine Phase ist.

Dazu gekommen ist es aus einem einfachen Grund. Ich wollte ein Lied, genauer genommen einen Teil davon, singen, der für meine momentanen Fähigkeiten wahrscheinlich noch ein kleines bisschen zu hoch ist (wortwörtlich, sogar). Da stehe ich also so in meinem Wohnzimmer, falle bei dieser Stelle raus und höre das Original, das natürlich einfach weiterläuft. Ich denke: „Oh, Gott, dieser Mensch hat soo viel Power. Woher nimmt er sie, verdammt? Ich will auch!! Warum kann ich das nicht, warum kann ich nicht einfach so gut sein?“ Und schon hat sich die negative Gedankenspirale im Kopf eingenistet. Ich habe mich mit dem Originalsänger verglichen. Ist ja ein Vorbild für mich, an irgendetwas muss ich mich ja orientieren, richtig?

Jein. Die Sache mit den Vorbildern, egal in welchem Bereich, hat zwei Seiten. Zum einen können sie uns helfen, eine Vorstellung davon zu bekommen, wo wir selbst hin möchten. Was wir schaffen möchten, in welcher Weise, wie das erwünschte Resultat ungefähr sein sollte. Das ist die positive Seite.

Wenn wir aber anfangen, uns mit diesen Leuten zu vergleichen, wird das zu einem Nachteil. Wir wünschen uns, es genau gleich hinzubekommen, genau so perfekt, genau auf dieselbe Weise. Das klappt praktisch nie, was verursacht, dass wir uns schlecht fühlen, obwohl wir das eigentlich gar nicht müssten. Besser ist, zu verstehen, dass wir es gar nicht exakt gleich machen können. Denn wir sind nicht sie. Wir haben andere Voraussetzungen, andere Hintergründe und andere Umstände. Das ist auch gut so, denn ein Original ist ja bekanntlich immer besser als eine Kopie. 😉

Schauen wir uns das genauer an. Singen ist mein Zweithobby. Das meine ich nicht abwertend, ich tue es wirklich gerne und ich habe ebenso eine Leidenschaft dafür, wie für das Schreiben oder andere Dinge, die ich tue. Meine erste Priorität hat aber stets das Schreiben. Sprich, ich singe, wenn ich gerade Pause habe. Also, das ist vielleicht so 2-3 Mal pro Woche, wenn ich noch arbeite eher weniger, dann nur am Wochenende, jeweils 1-2 Stunden. Nachdem ich geschrieben habe. Ich mache das seit vier Jahren. Vorher wurde mir nachgesagt, ich hätte „kein Musikgehör“ und „treffe keinen Ton“. Mein erster Gesangslehrer hielt es sogar für unmöglich, mir das „jetzt noch“ beizubringen, nachdem ich es ja als Kind nicht gelernt habe… Wie auch immer, was ich meine ist: ich kann froh sein, wenn ich ein Lied einigermassen korrekt singen kann. Alles andere muss ich eben nun einmal noch weiter üben.

Da bin ich dann also und übe mit Liedern von meinen Lieblingskünstlern. Leute, die das (meistens) professionell machen. Normalerweise auch nicht erst seit ein paar wenigen Jahren, sondern seit – nun ja, so lange wie ich schreibe vermutlich, also sozusagen seit schon immer. Eingangs erwähnter Sänger ist zudem ungefähr 30 Jahre früher zur Welt gekommen als ich, hatte also etwas mehr Zeit zum Üben (zumal ich ja erst mit 26 angefangen habe). Apropos, üben. Ich weiss ja gar nicht, wie viel dieser Mensch pro Tag übt, aber vermutlich mehr als 1-2 Stunden, denn wenn du das professionell machst, wird das wohl erforderlich. Was ich auch nicht weiss, ist, wie viele misslungene Versuche dieser bestimmten Aufnahme es gibt. Könnte der 100ste oder 1000ste sein, der da auf der Endversion zu hören ist …

Ich wette, auch du bist schon einmal in diese Vergleichsfalle gelaufen (oder tust es immer mal wieder). Picke dir mal irgendjemanden raus, der bei dir schon dieses Gefühl ausgelöst hat und analysiere: was ist der Hintergrund dieser Person und was deiner? Unter welchen Umständen arbeitet jede*r von euch? Was bringt ihr mit, was nicht? Wie lange macht die andere Person das schon, wie lange machst du das?

Wenn das noch nicht reicht, um aus dem Vergleichsfrust herauszukommen, habe ich noch einen Punkt. Wir wissen nicht, was die Ziele der anderen sind. Mein Ziel in dieser Sache ist diese Art von Gesang. Das Lied, das mich so heruntergezogen hat, ist 20 Jahre alt. Ich habe keine Ahnung, was die Ziele des Künstlers waren, als das Lied aufgenommen wurde. Kann sein, dass er es genauso gewollt hat. Kann aber auch sein, dass er in Wirklichkeit etwas ganz anderes gewollt, es aber nicht hingekriegt hat. Gut möglich, dass er das damals gar nicht als gelungen betrachtet hat. Vielleicht auch doch, vielleicht auch nicht, das weiss ich einfach nicht.

Wir können nicht in die Köpfe der anderen hineinsehen, wir haben keine Ahnung, was sie zu irgendeinem gegebenen Zeitpunkt erreichen wollten. Also wissen wir auch nicht, wie „gut“ jemand in einer Sache ist, weil wir ja den inneren Massstab dieser Person nicht kennen. Sicher ist nur, dass eine Kunst zu erlernen viel Zeit und Übung braucht. Alles ist ein Prozess, eine Leiter, und man kann leider keine Sprossen überspringen. (Manchmal finden Leute Wege, das zu tun, aber das rächt sich immer.)

Um den Punkt zu beurteilen, an dem wir uns befinden, sollten wir unseren eigenen inneren Massstab anwenden, in dem unsere Umstände eingerechnet sind. Wenn wir unser Bestes geben, sind wir in der Regel bereits gut. Natürlich wollen und können wir immer noch besser werden, aber wir brauchen uns nicht zu frustrieren, weil irgendjemand anderes vermeintlich weiter ist. Wenn wir tun, was wir können, sind wir meistens da, wo es uns angesichts unserer Umstände eben möglich ist. Alles andere kommt mir mehr Zeit, mehr Übung und mehr Wissen, während wir dem Prozess folgen. Dann kommt auch das Endziel näher. Und falls wir vorher sterben, können wir wenigstens sagen, dass wir gut in unserer Sache waren und Spass hatten.

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