Wir alle kennen dieses Gefühl, wenn man an einer bestimmten Stelle eines Buches, Liedes oder Films einfach ausrufen muss: „Ja! Genau das! Sage ich doch immer!“ oder: „Genau so geht es mir auch! Woher kennst du mein Leben?“
Ebenso kennen wir alle die Momente, in denen wir schockiert dasitzen, Werk in der Hand oder auf dem Bildschirm, und einfach nur denken: „Halloo? Geht’s noch?“ oder auch: „Wie kann man so etwas nur schreiben?!“
Diese beiden unterschiedlichen Reaktionen haben eines gemeinsam: Das Werk spricht damit etwas irgendwo tief in unserer Seele an. Es trifft uns so sehr, dass es uns in Erinnerung bleibt. Überlege doch mal kurz, welche Bücher, Lieder oder Filme dir besonders eingefahren sind. Warum war das so? Haben sie dich geärgert oder berührt? Was wurde in der Geschichte vermittelt, das deine Reaktion hervorgerufen hat?
Als Autorin erfüllen mich solche Momente immer mit Ehrfurcht vor dem*der anderen Autor*in. Denn: Das will ich natürlich auch können. Stell dir vor, dein Werk fährt jemandem so krass ein – es mag narzisstisch klingen, aber ist es nicht das, was wirklich gute Kunst ausmacht? Doch wie geht so etwas? Gibt es dafür ein Geheimnis, einen Trick? Oder sind alle diese Künstler*innen einfach Naturtalente in dem, was sie tun? Nun, Talent ist bekanntlich überbewertet und Patentrezepte gibt es nur für ungesunde Lebensmittel und Medikamente. 😉
Aber eines haben alle diese Künstler*innen gemeinsam: Sie trauen sich. Sie trauen sich, auszudrücken, was sie wirklich bewegt. Sie trauen sich, mittels ihrer Kunst anderen auf die Füsse zu treten. Sie trauen sich, sensible Themen aufzugreifen oder hässliche Worte zu benutzen – oder beides. Sie scheuen sich nicht vor dem möglichen Konflikt mit bestimmten Empfängern, seien diese nun Konsument*innen oder Menschen aus dem persönlichen Umfeld. Sie lassen sich von der Angst vor unangenehmen Fragen oder harter Kritik nicht aufhalten. Sie wagen es trotzdem. Sie sind in der Lage, sich gegenüber den Empfänger*innen ihrer Kunst zu exponieren, „ihre Seele vor der Welt zu entblössen“, wie es in einer Folge der TV-Serie „Nashville“ so schön ausgedrückt wird. Sie lassen sich nicht davon stören, was andere über sie denken könnten.
Wenn du jetzt denkst „oh Gott, Hilfe, wie soll ich jemals an diesen Punkt kommen?“, reagiertst du gleich wie ganz viele andere (einst auch ich). Die gute Nachricht ist: Das kann man lernen! Die schlechte: Es ist ein Prozess und wie alle Prozesse nicht immer einfach. Der Vorteil ist, er beginnt bei dir selbst und deshalb kannst du ihn steuern.
Um anderen, insbesondere einer anonymen Menge, etwas wirklich Ehrliches mitteilen zu können, müssen wir als allererstes ehrlich zu uns selbst sein. Dafür brauchen wir Selbstbewusstsein im Sinne eines Bewusstseins über unsere eigenen Empfindungen (gegenüber der Welt), unserer Wünsche, Ängste, Ziele oder Charaktereigenschaften (auch jene, die uns zunächst vielleicht unheimlich erscheinen). Wir müssen wissen, was wir von der Welt halten, was wir von ihr wollen, was wir ihr geben wollen, wem wir helfen wollen und wem wir so richtig die Meinung geigen wollen. Das „Warum“ sollte uns ebenfalls klar sein.
Sobald wir uns über diese Dinge im Klaren sind, können wir anfangen, uns ehrlich auszuleben und anderen sagen, was wir denken. Innerhalb unserer Kunst oder auch im realen Alltag. Wenn uns jemand auf den Keks geht, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, wenn wir uns unsicher fühlen, wenn wir fürchten, benachteiligt zu werden, und so weiter. Keine Sorge, du musst dich nicht sofort alles trauen. Du kannst auch klein anfangen. Ich habe z.B. irgendwann einfach angefangen, zuzugeben, wenn ich mich unsicher fühlte oder auch einfach mal „Nein“ zu sagen und Angebote abzulehnen, die mir aufgedrängt werden wollten. Irgendwann habe ich dann begonnen, wirklich persönliche Themen in meine Bücher einzubauen. Zu Beginn braucht es etwas Mut, aber wie öfter man es macht, umso einfacher wird es.
Wappne dich. Sobald du nämlich mitteilst, was du wirklich denkst oder anfängst, Leute zurückzuweisen, die dir nicht guttun, werden einige beleidigt sein. Manche werden es nicht verstehen und dich der Unfreundlichkeit bezichtigen oder sich fragen „wie du so geworden bist“. Sie werden dir möglicherweise vorwerfen, an Nettigkeit verloren zu haben oder dir gar irgendwelche negativen Charaktereigenschaften unterstellen. Das ist zwar kein schönes Gefühl, aber letztendlich sind diese Leute selten jene, die für dein Leben relevant sind.
Damit kommen wir nun zurück zum Punkt. Künstler*innen, die kein Problem damit haben, jemandem auf die Füsse zu treten, wissen das. Sie wissen, dass jene Leute, die ihre Message bescheiden finden, nicht ihr Zielpublikum sind. Sie wissen auch, dass ihre Fans ihre Kunst verstehen, denn sonst wären sie ja keine Fans. Sie wissen, dass sie sagen können, was auch immer sie wollen, ohne dass etwas Schlimmes passiert. (Dazu noch ein kleiner Zusatz im letzten Abschnitt.)
Wie mehr Übung wir darin haben, entsprechend unseren wahren Gefühlen zu handeln oder zu schreiben, umso mehr wird unsere Kunst davon profitieren. Wenn wir uns trauen, ehrlich zu uns selbst und der Welt zu sein, können wir diese unsrige Wahrheit in unseren Werken verarbeiten – und so erreichen, dass jemand anderes mit derselben inneren Wahrheit sich darin wieder findet. (Oder jemand mit einer widersprechenden Wahrheit es hasst.) Wie mehr wir es wagen, tiefer in unserer Seele zu graben und zum Kern der Dinge, die uns beschäftigen, vorzudringen, umso intensiver können wir sie beschreiben und umso grösser wird der Effekt, den unser Werk auf andere hat.
Damit wir uns hier richtig verstehen: Ich meine damit nicht, dass du arschig sein und deine Ideen rücksichtslos in der Welt herumposaunen sollst. Man kann das auch auf anständige und verantwortungsvolle Weise tun. Man kann sich frei ausdrücken, ohne dabei unsensibel zu sein. Es bedeutet auch nicht, den ungeliebten Nachbarn in allem Detail in einem Roman auszuschlachten, denn dann verletzt du das Persönlichkeitsrecht und das gibt Ärger, wenn er dich verklagt. Zudem heisst es nicht, dasss man keine Kritik akzeptiert. Die richtige Kritik ist wesentlich für unsere Weiterentwicklung, das wissen wir alle.
Es geht darum, dass wir uns überlegen, was wir mit unserer Kunst sagen wollen und warum, für wen die Botschaft darin ist und für wen nicht. So können wir den Gedanken daran, was „die anderen“ (also, jene, für die unsere Botschaft nicht ist), aus unserem Kopf streichen – und zwar bereits während dem Schaffensprozess. Das Ziel ist, Sätze wie „aber das kann ich doch nicht bringen“, „ich sehe den Shitstorm schon aufziehen“ oder „eigentlich hat meine Mutter/mein Lehrer/der eine Typ aus der Clique damals, ja gesagt, dass…“ zu verbannen oder zumindest weit in den Hintergrund zu vertreiben. Damit wir uns nämlich frei auf das konzentrieren können, was uns wichtig ist. Das, was wir wirklich sagen wollen, was uns wirklich bewegt und was wir unterstützenswert finden. Egal, ob wir damit vielleicht jemandem auf die Füsse treten.
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