(Disclaimer: Der Einfachheit halber werde ich in diesem Beitrag das generische Maskulinum für den Begriff „Kritiker“ verwenden. Natürlich sind aber wie immer alle Geschlechter gemeint.)
Kritik ist allgegenwärtig. Nicht nur im Künstler*innenleben, sondern auch in der Schule, im Job, im privaten Umfeld und im Internet werden wir kritisiert. Manchmal sogar auf offener Strasse. Damit müsse man leben, heisst es. Zweifellos. Wer keinen Weg findet, mit Kritik umzugehen, wird keinen Mut finden, um Werke zu veröffentlichen oder seine Stimme erheben. Schlimmstenfalls zieht man sich soweit zurück, dass man kaum noch mit Menschen sprechen, geschweige denn für sich einstehen kann.
Mir wurde schon in der Grundschule beigebracht, Kritik entgegenzunehmen und darüber zu schweigen. „Einfach zuhören“, akzeptieren und am besten ohne zu hinterfragen alles umsetzen, was Herr Lehrer oder Frau Lehrerin so verlangt. Wer ausserdem christlich-religiösen Unterricht hatte, lernte den Spruch „schlägt dich einer auf die Wange, so halte die andere hin“ kennen.
Doch ist Kritik in jedem Fall berechtigt? Stimmt es, was diese Leute sagen? Müssen wir das wirklich alles annehmen und umsetzen? Die einfache Antwort ist: Nein. Die eigentliche Frage lautet: Woher wissen wir, welches Gewicht wir einer Kritik zumessen sollen? Welche Kritiken sind förderlich für unser Schaffen und welche ziehen uns nur sinnlos herunter?
Dazu müssen wir zuerst einmal unseren Standpunkt bestimmen. Wie sieht unser Werk aus? Aus welchem Grund haben wir es so gemacht und nicht anders? Was war unsere Absicht damit und von welchem Startpunkt aus sind wir es angegangen? Wenn wir uns über diese Punkte im Klaren sind, können wir mit diesen Eckdaten jede Kritik überprüfen. Denn die Kritiker wissen all das nicht. In der Regel fehlen ihnen diese Informationen. Somit gehen sie meistens von einem eigenen Standpunkt oder einem Ergebnis, das sie sich wünschen, aus. Ihre Eckdaten können komplett von unseren eigenen abweichen.
Jetzt kommt es darauf an, dies zu erurieren. Angenommen, ich habe ein Bild gemalt, auf dem die Figru eine schiefe Nase hat, weil die Figur so sein soll. Nun erscheint eine Person an der Ausstellung, die das Bild zwar sonst gut findet, sich aber an der schiefen Nase stört. Sie sagt, das sei schlecht gemacht, denn es passe nicht. Sie ist der Meinung, die Nase der Figur müsste gerade sein, weil der Rest ebenfalls gerade ist. Hat diese Person dann recht? Nein, denn ich habe ja absichtlich nur die Nase schief gemalt.
Wäre die Nase nun aber schief geworden, ohne dass ich es beabsichtigt hatte, hätte die Person natürlich recht. Ebenso hätte die Person einen Punkt, wenn sie sagen würde, die Nase wäre z.B. zu lang und ich zuvor keine Ahnung hatte, wie lang die Nase sein sollte. Habe ich aber ganz genau gewusst, dass die Nase länger als üblich sein wird, weil das meine Absicht war, läge die Kritikerin wiederum falsch.
Kritiken ignorieren oft unsere persönlichen Umstände. Wenn ich gerade erst mit dem Malen begonnen habe und jemand von mir eine Picasso-Kopie erwartet, kann ich nur verlieren. Wäre ich Picasso, sähe das natürlich anders aus. Jemand, der zum ersten Mal ein Buch schreibt, kann gar nicht gleich schreiben, wie jemand, der schon 10 Bücher geschrieben hat, weil ihm schlicht die Erfahrung fehlt. Jemand, der noch nie zuvor einen Bleistift gehalten hat, zeichnet nicht gleich wie jemand, der das seit 20 Jahren trainiert. Viele Künste werden gerne mit Sport verglichen. Wie mehr man bestimmte Muskeln und Bewegungsabläufet trainiert, umso einfacher gelingen sie. Wir wissen nicht, ob ein Kritiker seine Bewegungen schon viel länger übt als wir oder gerade erst angefangen hat.
Zudem ist Kritik immer subjektiv gefärbt. Absolute Objektivität gibt es nicht, denn mit unserem Wissen über ein Handwerk oder ein Thema, verändert sich auch unsere Wahrnehmung. Ein Freund von mir sagte mir mal, ich sähe bei Filmen immer Fehler, die gar keine wären. Das liegt daran, dass ich mich aufgrund meiner Arbeit als Autorin fast täglich mit Erzähltechnik und Schreibhandwerk befasse und somit auf alle möglichen Dinge achte, die für andere Leute gar nicht relevant sind. Man kann da von „schlechtem Handwerk“ sprechen, aber für sehr viele Menschen ist das völlig ausreichend – und wer weiss, vielleicht haben die Macher des Films das ja so beabsichtigt, und ich verstehe es nur nicht, weil ich es niemals so machen würde?
Insofern können wir uns an einen einfachen Grundsatz halten: Wo treffen die kritische Aussage und unsere abgestecktes Spielfeld zusammen? Gibt es an diesem Punkt etwas, das wir mitnehmen können? Wenn nein, können wir die harten Worte getrost vergessen. Dann hat der Kritiker schlicht eine andere Vorstellung davon, wie unser Spielfeld aussehen sollte, als wir. Existiert jedoch eine Überschneidung zwischen seinem Feld und unserem, passen die Linien zueinander, lohnt sich ein genauerer Blick. Vielleicht hat er schon etwas mehr Übung als wir und sein Input ist wertvoll. Es steht uns frei, hinüberzugehen und uns dort umzusehen – wenn es uns nicht gefällt, können wir jederzeit wieder zurück.
Nützliche Kritiken sind zudem meistens konstruktiv formuliert, geben uns Anregungen und Auftrieb. Sie mögen uns im ersten Moment treffen oder verwirren, aber wenn sie zu wirken beginnen, merken wir, wie sie uns langsam einen neuen Pfad aufzeigen, wir Möglichkeiten erkennen, die uns zuvor verschlossen waren. Bei Kritiken, die einfach nur entmutigend sind, passiert das in der Regel nicht. Wenn wir nicht nach ein paar Tagen das Gefühl bekommen, etwas aus einer Aussage lernen zu können, brauchen wir uns nicht länger damit aufzuhalten. Manchmal sind wir für bestimmte Anregungen auch einfach noch nicht bereit. Das macht nichts, es wird uns zur richtigen Zeit klar werden.
Kritik kann uns also nicht nur helfen, uns weiterzuentwickeln, sondern uns auch herunterziehen und blockieren. Kennen wir jedoch unser abgestecktes Spielfeld, können wir kritischen Aussagen daran messen und sie in eine positive Kraft umwandeln – oder verwerfen.
Was sind eure Erfahrungen mit Kritik? Habt ihr eigene Tricks, um damit umzugehen? Wenn ihr mögt, dürft ihr gerne in den Kommentaren davon erzählen. Ich bin gespannt auf eure Antworten!
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