In dem Film „Magic Beyond Words“, der von der Autorin J.K. Rowling handelt, gibt es folgende Szene: Joanne sitzt an einem Schreibtisch und arbeitet lustlos ihre Aufgaben ab. Ihr Boss betritt den Raum, erkennt ihren Gemütszustand schon von weitem, geht zu ihr hin und sagt: „Joanne, sind sie wirklich glücklich hier?“ (aus dem Gedächtnis zitiert, kein Genauigkeitsanspruch). Woraufhin Joanne verlegen lächelt und versucht, sich nichts anmerken zu lassen, wobei sie natürlich kläglich scheitert.
Unabhängig davon, was man von besagter Autorin hält, ist diese Szene sehr bezeichnend für die Gefühle vieler kreativer Menschen. Wir achern uns durch einen sogenannten „normalen“ Job, weil wir die Miete und unser Essen von irgendetwas bezahlen müssen, während wir insgeheim darauf warten, dass der grosse Traum in Erfüllung geht und wir diesem schrecklichen Leben im Brotjob entfliehen können. Jedenfalls empfinden wir das so.
Damit wir uns hier richtig verstehen: Wenn du dich in deinem Job so schlecht fühlst, dass du nicht mehr weisst, wie du aufstehen sollst, oder am Abend und am Wochenende nicht mehr abschalten kannst, lohnt sich eine Überprüfung des Arbeitsumfeldes. Denn manchmal schieben wir es auf die Sehnsucht nach „dem Traum“, wenn es in Wirklichkeit eigentlich um andere Faktoren geht.
In diesem Beitrag werde ich von einer durchschnittlichen Arbeitsstelle ausgehen, in der ein gesundes (=nicht toxisches) Betriebsklima herrscht und man mit den branchenüblichen Herausforderungen konfrontiert ist. In meinem Fall sind diese vielfältig: Man bekommt Schicksale mit, manchmal muss man hart sein, man braucht Durchsetzungsvermögen und Diplomatie, man steht eigentlich immer zwischen den Stühlen und manchmal muss man Dinge tun, mit denen man nicht einverstanden ist, weil sie vom Kunden nun einmal gewünscht werden.
An dieser Stelle bitte ich dich, kurz innezuhalten und zu überlegen, welche Dinge in deinem Job an deinen Nerven zehren. Bei welchen Herausforderungen kommst du an deine Grenzen? Warum? Gitb es Momente, in denen du am liebsten einfach verschwinden würdest? Wann wird die Vorstellung, dass als erfolgreiche*r Künstler*in alles besser wäre, ausgelöst?
Wir sehen also nun diesen Job vor uns, der uns so viel abverlangt und uns das Leben vermeintlich so sehr erschwert. Wir glauben, die Kunst würde uns quasi retten, uns aus diesem Trott herausheben und uns alles erleichtern. Stellen uns vor, wie schön es wäre, nur noch das tun zu können, was wir lieben, wann wir wollen, wie wir wollen, und wo wir wollen.
Keine Kunden mehr, die unsägliche Dinge verlangen. Kein Terminstress mehr. Kein Druck mehr, ständig diesen hohen Erwartungen gerecht zu werden. Keine Kritik mehr, keine Abhängigkeiten mehr. Das ist unsere Idee vom finanziellen Erfolg als Künstler*in, richtig? Der eigene Chef sein, nur noch schöne Dinge tun. Danach sehnen wir uns, wenn es im Brotjob schwierig wird.
Aber wie ihr nun sicher auch gerade gemerkt habt, gibt es einen Error in diesen Überlegungen. Denn auch wenn wir von unserer Kunst leben, müssen wir gewisse Erwartungen erfüllen, wenn wir wollen, dass unsere Werke immer wieder gekauft werden. Wir müssen eine gewisse Summe an Einnahmen erzielen, damit wir unser Essen und unsere Miete bezahlen können. Das bedeutet, dass wir nicht nur die Kunst machen können, sondern uns auch um Werbung, Fanbeziehungen, Visibility und so weiter kümmern müssen. Ebenso wird es Fans geben, denen einige unserer Sachen nicht gefallen oder die von unserem neuesten Werk enttäuscht sind. Je nachdem, welchen Weg wir gehen, haben wir auch mit Verlagen, Managern, Produzenten, Ausstellern u.ä. zu tun, die ebenfalls ihre eigenen Vorstellungen und Erwartungen haben. Manchmal sind uns auch andere Grenzen gesetzt, wie z.B. dass man als Selfpublisher*in von Büchern einen Vertreiber braucht, und so weiter und so weiter.
Wir sind auf andere Leute angewiesen, die bestimmte Dinge besser können als wir, und sei es nur, weil sie über Ressourcen verfügen, die uns selbst fehlen. Es ist uns gar nicht möglich, alles komplett alleine zu machen. Jedenfalls nicht, wenn es professionell und treffsicher sein soll – was wiederum essenziell dafür ist, dass es gekauft wird. Und so befinden wir uns auch dann in einer Mühle. Eine andere, vielleicht eine schönere, vielleicht eine, in der wir uns lieber einrichten würden. Fair enough. Versuche haben noch nie jemanden umgebracht (jedenfalls nicht in unserem Tätigkeitsfeld). Aber es ist nichtsdestoweniger immer noch eine Mühle, die wir betreiben müssen und in der es Schwierigkeiten und Stolpersteine gibt. Es mögen andere sein als im „normalen“ Job, aber auch sie können uns aus dem Konzept bringen, entmutigen und belasten.
Fragt nur einmal Leute, die vom Schreiben leben – die meisten sind nicht steinreich und berichten reichlich von ihren Struggles. Seht euch die Biographien „grosser“ Künstler*innen an – und ihr werdet feststellen, dass auch sogenannte Traumjobs harte Jobs sind. Schauspieler*innen, die monatelang hungern für eine Rolle. Musiker*innen, die ihre Werte kompromittieren, weil ihnen die Plattenfirma im Nacken sitzt. Künstler*innen, die an einem Tag als das nächste heisse Ding angepriesen werden – und am nächsten wieder in ihrem Dorfcafé Flyer verteilen. Autor*innen, die für ihren Veröffentlichungsrhythmus schnell schreiben müssen, ungeachtet was sonst in ihrem Leben gerade läuft.
Egal, was man tut, es gibt immer Herausforderungen, die uns an unsere Grenzen bringen und unseren Antrieb infrage stellen. Jeder Job, egal ob „normal“ oder künstlerisch, hat Vor- und Nachteile. Im Gegensatz zum Film wird in der Realität nicht auf magische Art und Weise alles gut, wenn man „den Traum“ erreicht hat. Danach geht das Leben weiter und man muss dranbleiben, sich mit anderen Leuten herumschlagen, die Kritik und das Lob aushalten und dabei nicht den Kopf verlieren. Zumal das künstlerische Schaffen selbst ja ebenfalls nicht nur aus Zucker besteht. Wir zweifeln an unseren Fähigkeiten, wir kommen an irgendeiner Stelle nicht vorwärts, zeitweise ist es zu emotional, zu verhakt, zu komplex, zu wenig das, was wir uns vorstellen. Kunst machen an sich kann ebenfalls hart sein, daran ändert sich auch mit Geld nichts.
Damit wir uns richtig verstehen, ja, viele berichten auch davon, wie es ihnen insgesamt besser geht, seit sie von ihrer Kunst leben. Ich spreche hier auch nicht vom Aufgeben. Ich träume auch ebenfalls immer noch davon, mein eigenes Ding machen zu können und einen Bestseller zu landen. Ich werde auch weiterhin darauf hin arbeiten. Wenn wir jedoch unser ganzes Lebensglück davon abhängig machen und unsere tatsächlichen Umstände nicht akzeptieren können, verschwenden wir Energie. Es gibt kein Messgerät, das anzeigt, wie viel Kraft in diesen Frust fliesst, aber ich wette, meine Misslaune aus den letzten Jahren könnte einen Swimming Pool füllen oder zwei. Vielleicht auch drei.
Konzentrieren wir aus auf den Frust, auf all das Nervige, Anstrengende und Hässliche, was uns stört, verschwenden wir Kraft, die wir woanders besser nutzen könnten. Wir werden müde, lustlos und träge und brauchen dann wiederum Zeit, um uns von diesen negativen Gefühlen zu erholen. Da wir zu erschöpft sind, können wir in dieser Zeit nichts anderes tun. Dauert das zu lange an, fehlt uns wertvolle Energie, die wir in unsere geliebte Kunst stecken könnten. Haben wir keine Energie dafür, verlieren wir auch die Kapazität, um beser zu werden und uns weiterzuentwickeln. Wir kommen mit unserer Kunst nicht vom Fleck und wissen nicht, warum.
Negative Gefühle passieren, das ist normal und gesund und es ist auch gesund, sie zuzulassen. Aber wir entscheiden, für wie lange. Wir entscheiden, wie viel Raum wir einem negativen Ereignis geben und ob wir bis in alle Ewigkeit am Boden sitzen bleiben und schmollen oder aufstehen und den Staub abschütteln wollen. Wir entscheiden selbst, wohin unsere Kräfte fliessen sollen.
Versuche, dich an die letzte Woche zu erinnern: Wie oft hast du dich aufgeregt? Wie lange? Wie viele Gedanken hast du im Kreis herumgewälzt, ohne eine Antwort zu finden, nur um dann total erschöpft ins Bett zu fallen? Was hättest du in dieser Zeit sonst noch tun können? Wäre es möglich gewesen, zu sagen: „Halt stopp, jetzt mache ich meine Kunst.“ Ich bin überzeugt, diese Möglichkeit haben wir immer. Bei manchen Ereignissen brauchen wir etwas länger dafür, bei anderen geht es schneller. Aber wir können uns Ausgleich schaffen und unsere Konzentration auf Dinge lenken, die uns gut tun. Denn das müssen wir letztendlich auch können, wenn wir von unserer Kunst leben.
Ja, es ist sogar essenziell für unsere seelische Gesundheit, das wir das tun. Perfekte Umstände gibt es nicht, aber wenn wir lernen, mit unseren aktuellen besser umzugehen, bleibt uns mehr Kraft – und Zeit! – für die Dinge, die uns wirklich wichtig sind. Und um darin die bestmöglichen Resultate zu erzielen, brauchen wir diese Kräfte: unser ganzes Herz und unseren ganzen Kopf. Das geht nur, wenn wir nicht mit der Hälfte in einem Strudel aus Vorwürfen (ob gegenüber anderen oder uns selbst), Verzweiflung und der Sehnsucht nach dem grüneren Garten festhängen. Und wer weiss, wenn wir dann unsere bestmögliches machen, führt es eines Tages vielleicht sogar zum Durchbruch. Doch in einem Traum können wir nicht handeln, um uns besser zu fühlen, im Hier und Jetzt hingegen schon.
Also sollten wir, statt auf ein Traumleben hinzufiebern, die harte Realität als solche erkennen und anfangen, Strategien für den Umgang damit zu entwickeln. „Dealing with the inevitable“ wie Schauspieler Matthew McConaughey so schön geschrieben hat („umgehen mit dem Unvermeidlichen“, aus seinem Buch „Greenlights“). Und zwar unabhängig davon, was für einen Job wir haben, denn auch der Traumjob ist ein Job.
Kennt ihr diese Gefühle? Was sind eure Erfahrungen damit? Berichtet mir gerne in den Kommentaren davon!
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