Heute habe ich etwas Neues für euch: Ein Interview.
Autorin Carmen Capiti hat etwas richtig Spannendes getan: Sie nahm sich eine Auszeit von ihrem Brotjob, um einige Dinge über sich selbst herauszufinden. Dafür reiste sie mitten in der Pandemie an verschiedene Orte, wo sie verschiedene Jobs machte und eine ganze Menge lernte. Sie berichtete auf Instagram unter @carmencapiti und auf dem Youtubekanal being_unter_construction davon. Doch lassen wir sie selbst zu Wort kommen:
Beginnen wir am Anfang. Du warst ja nun 10 Monate unterwegs, um verschiedene Sachen auszuprobieren. Was war dein Antrieb war dafür?
Grundsätzlich war ich schon länger nicht mehr zufrieden mit meinem Job; Es war nicht total schlecht, aber es war auch nicht gerade der beste Job der Welt. Im Januar 2021 hatte ich dann 3 Wochen am Stück Ferien. In diesen 3 Wochen ging es mir einfach super, ich habe viele tolle Dinge gemacht und war happy. Als ich wieder zur Arbeit ging, spürte ich schon am ersten Tag wieder diese Abneigung. Da musste also etwas passieren.
Die Frage lautete, was sollte das sein? Was wollte ich überhaupt, in welche Richtung sollte es gehen, was würde mir gefallen? Aber dafür musste ich mir Zeit nehmen, denn während der Arbeit war immer viel los und ich verlor eine Menge Energie – weil ich etwas tat, das mich nicht glücklich machte. Somit hatte ich nicht mehr die Kraft, mich damit auseinanderzusetzen, was mir Spass macht. Meine Frage konnte ich unter diesen Umständen nicht beantworten, also kündigte ich. Vorher habe ich aber natürlich ausgerechnet, wie lange ich es finanziell tragen könnte. Und ich brauchte einen Plan, denn zuhause auf die Erleuchtung zu warten, war ja nicht zielführend. Deshalb erstellte ich ein Mindmap mit allem, was mich interessierte und versuchte, alle diese Berieche anzutesten. So ist das alles entstanden.
Du hast das ja mitten in der Pandemie gemacht. Was für Herausforderungen brachte das mit sich? Da brauchte es bestimmt viel Planung?
Die Pandemie war zweifellos eine grosse Hürde. Ich wusste nur, ich musste es tun. Dass ich schlechtes Timing erwischt hatte, war mir klar, aber im Frühling, als ich aufhörte zu arbeiten, sah es dann zum Glück ein bisschen besser aus. Es ging recht gut, aber es hätten von heute auf morgen Grenzen geschlossen werden können. Es gab auch Länder, in die ich wollte und deshalb nicht konnte. Norwegen zum Beispiel. Deshalb habe ich mich erst einmal gefragt, wo es denn überhaupt möglich war. So landete ich in Estland, wo ich sonst wahrscheinlich nie hingegangen wäre. Ich arbeitete dort in dem Hotel und das Lustigste war, dass es vielen Leuten genau gleich ging. Die wollten einfach weg und landeten dabei dort.
Sonst nahm ich die Planung recht locker. Ich reiste im Juni los und wusste, dass ich eine Weile unterwegs sein würde. Ich habe aber stets nach und nach geplant. Fix wäre nur noch Grönland dabei gewesen, doch das fiel wegen der Pandemie ins Wasser und deshalb habe ich von Estland aus ziemlich entspannt die nächsten sechs Wochen geplant. Mich leitete das, was ich noch tun wollte.
Gab es Dinge, die in dir Angst oder Unbehagen ausgelöst haben?
Ja, eigentlich alles! Es beginnt damit, ins Blaue hinaus zu kündigen. Klar hatte ich meine Finanzen ausgerechnet und ich habe auch das Glück, in meiner Branche jederzeit wieder einen Job finden zu können. Aber diesen Hintergedanken, dass es unvernünftig war und dass ich meine Ersparnisse verbraten würde, hatte ich auch. Allgemein war es meistens so, dass es im Moment der Idee immer sehr toll klang und dann kam diese Stimme im Hinterkopf: «Aber du musst auch wissen, was du danach dann machen willst!» Diese Stimme konnte ich nie ganz abschütteln.
Zudem brauchen diverse Situationen beim Reisen etwas Mut. Der Klassiker, wenn man alleine reist, ist ja, sich allein in ein Restaurant zu setzen. Das brauchte die ersten beiden Abende total viel Überwindung, aber danach wurde es einfacher. Und das beste an meinem ersten Abend in Malta war, dass ich den ganzen Abend lang der einzige Gast in dem Restaurant war! Dabei interessiert das in Wirklichkeit ja keinen Menschen, aber man hat stets das Gefühl, die Leute denken weissgottwas.
Welche Erfahrungen waren für dich besonders wertvoll?
Total viele. Die allererste Erfahrung war, als ich gekündigt habe. Wie viele Leute zu mir kamen und Verständnis hatten und erklärten, sie wollten auch einmal so etwas tun – das hatte ich nicht erwartet. Sie sagten, sie fänden meine Aktion mutig, dabei kam sie mir eher unvernünftig vor. Jedenfalls war das die erste Erkenntnis, die mich schockierte: Wie viele Leute nicht zufrieden sind in ihrem Job, diesen Schritt zur Veränderung aber trotzdem nicht wagen.
Danach hatte ich ganz viele kleine life lessons. Was ich über mich selbst herausfand, war, wie sehr physische Arbeit mich zufriedenstellte und dass mir das im Bürojob teilweise fehlte. Ich habe in Schweden drei Wochen auf einer Farm gearbeitet und das war die beste Erfahrung meines Lebens! Dort habe ich so viele Dinge gelernt, die eigentlich Basics sind und an die ich zuvor nie gedacht hatte: Z.B. wie Erdbeeren sich fortpflanzen. Stell dir vor, es wäre Apokalypse, dann hilft dir so etwas wahrscheinlich am ehesten.
Und dann waren es natürlich die Leute, die ich getroffen habe. Es gab viele, die sich in einer ähnlichen Situation befanden wie ich und andere, die an einem total anderen Punkt standen. Das relativierte alles sehr.
Hattest du ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Nicht eines in dem Sinne. Eher viele kleine. Es waren vor allem die Dinge, die mir Türen zu neuen Bereichen öffneten, die ich noch viel weiter ergründen möchte. Ich habe ja alles nur oberflächlich angetestet. Ich wusste schon vorher, dass ich nach dieser Auszeit nicht direkt wissen würde, worin meine neue Karriere besteht, aber sie hat mir ein paar interessante Richtungen aufgezeigt.
Du hast ja eine Zeit lang ein Tagesjournal geführt, dass du auch auf Instagram gepostet hast. Hat dir dieses Journal spezielle Erkenntnisse gebacht? Überraschungen? A-ha-Effekte?
Das eine war sicherlich, dass körperliche Betätigung mir gefiel. Das ist mir immer wieder begegnet. Zu Beginn in dem Hotel habe ich ja einfach die Zimmer geputzt, was ja an sich keine besonders befriedigende Sache ist. Aber es machte mich trotzdem glücklicher als mancher Bürotag, in dem ich (in der Gesellschaft) als «wichtiger» angesehene Dinge erledigt hatte. Ja, auch der Begriff «zufriedenstellend» ist relativ.
Eine Frage, die ich jeden Tag beantwortete war: Was habe ich heute gelernt? Mir das zu überlegen fand ich auch total spannend. An manchen Tagen war es einfach, an anderen musste ich länger darüber nachdenken, aber trotzdem hatte ich jeden Tag etwas.
Eine weitere Erkenntnis betrifft mein Verhältnis zu Menschen. Auf diesen Reisen wurde mir klar, dass es mir sehr leicht fällt, mit Leuten in Kontakt zu treten. Wenn ich mich nicht entscheide, allein zu sein, finde ich schnell Anschluss. Aber ich brauche auch viel Zeit für mich, die ich dann auch geniesse. Da braucht es eine gute Balance.
Du hast ja einige Stationen mit Videos dokumentiert. Wie war das so, das alles auch noch zu lernen? Gab es da bestimmte Schwierigkeiten?
Komplett neu war es nicht, denn ich habe früher im Gymnasium viele Filme gemacht. Aber das war natürlich Jahre her und die heutigen technischen Tools sind viel komplexer. Das war sicherlich eine Herausforderung, diese ganze neue Technik zu lernen. Und dann war es so, dass ich total viele Ideen hatte. Eigentlich wollte ich Leute interviewen, aber ich war stets so auf den Moment konzentriert, dass es mir seltsam vorgekommen wäre, die Leute darum zu bitten. Zudem musste ich mich oft überwinden, zu filmen, vor allem an Orten, wo viele Menschen waren.
Die Filme zurechtzuschneiden auf dem Laptop war auch so eine Sache. Das ging nicht gut, weil der Bildschirm viel zu klein und zu schwach war. Da merkte ich schnell, dass das nicht passte. Deshalb hatte ich unglaublich viele Aufnahmen, als ich nach zwei Monaten das erste Mal nach Hause kam. Das unterschätzt man. Ich brauchte nach dem Erstellen der Videos immer etwa eine Woche Pause. Deshalb gibt es noch eine Menge Aufnahmen, von denen ich gar nicht weiss, ob ich noch etwas daraus mache.
Kommen wir zur letzten Frage: Deine Reise war ja auch so eine Art «innere Reise». Geht diese noch weiter oder empfindest du sie als abgeschlossen?
Nein, gar nicht. Ich würde eher sagen, ich befinde mich an einer Zwischenstation. Es war aber auch nie die Idee dahinter, am Ende dieser Zeit alle Antworten zu haben. Das war gar nicht meine Erwartung. Ich konnte ein paar Faktoren herausfiltern, die ich in meinem Leben ändern möchte. Zum Beispiel habe ich nun doch nochmals einen Job in der IT angenommen, der aber etwas anders gestaltet ist als mein vorheriger. Sollte ich in einem Jahr feststellen, dass es doch nicht das Wahre ist, werde ich insofern weiter sein, dass ich dann schon eine bessere Basis habe – im Sinne von mehr Wissen – um herauszufinden, was sich zusätzlich noch ändern muss. Das ist auf jeden Fall eine Art Reise, aber nicht nur im Job, sondern auch im Privatleben. Beides spielt zusammen und ist ein ständiger Lernprozess, so dass sich letztlich insgesamt etwas verbessert.