Seit ein paar Wochen ertappe ich mich häufig bei dem Gedanken: Warum habe ich eigentlich nicht früher angefangen? Warum habe ich eigentlich nicht schon damals … ? Mich mehr mit Marketing beschäftigt, meine Booklaunches besser vorbereitet, das geschrieben, was ich tue, philosophische Bücher gelesen, mich mit diesem oder jenem Thema auseinandergesetzt … Die Liste ist endlos. Die meisten Leute, die ich kenne, haben ebenfalls eine solche Liste.
Manchmal überfällt uns die Vergangenheit von hinten und mit unserem jetzigen Wissen erscheint uns unser jüngeres Ich dumm und unzulänglich. Das ist der sogenannte „hindsight bias“ oder „Rückschaufehler“, der bedeutet, dass uns vergangene Ereignisse rückblickend völlig klar und vorhersehbar vorkommen – sind wir aber in der Situation und blicken voraus, können wir sie selten so gut einschätzen. Wie auch? Uns fehlt ja jede Menge Wissen. Während wir im hindsight bias glauben, wir hätten es doch eigentlich besser wissen müssen, geht die Psychologie davon aus, dass wir uns gar nicht genau an unsere getroffenen Abwägungen erinnern.
Und das ist die Erklärung, warum solche „Hätte ich doch“-Gedanken sinnlos sind. 😉 Doch wir wollen uns ja nicht darüber fertigmachen, dass wir einem völlig menschlichen Error unterliegen, sondern besser mit diesen Gedanken umgehen, wenn sie da sind. Die Frage ist also nicht, was wir wann hätten anders machen können, sondern, wie wir uns selbst verzeihen können. Wenn man sich die Geschichte hinter dem „Hätte“ nämlich genauer ansieht, wird es wirklich klarer.
1) Du hattest ein anderes Leben
Was waren deine Umstände in diesem damals? Wie warst du? Ich selber habe lange ziellos im Zeug herum geschrieben. Ich hatte zwar immer eine Geschichte zu schreiben, aber ich wusste nicht, was ich damit sagen wollte, auf welche Themen ich das Gewicht legen sollte oder welches meiner 1000+ Projekte ich priorisieren wollte – das Ergebniss waren unzählige Anfänge, aus denen nie etwas wurde. Zudem hatte ich einen Job, der mich in einen Nervenzusammenbruch trieb. Dann war ich natürlich mit den Problemen dort beschäftigt und hatte gar keine Energie, mich mit irgendetwas anderem auseinanderzusetzen.
Also überlege, aus welcher Situation heraus, du „mehr“ oder „Besseres“ oder „etwas anderes“ hättest machen sollen? Warst du in einem schwierigen Job? Hattest du gerade ein Kind zur Welt gebracht? Hattest du Probleme in der Beziehung oder in der Familie? Hattest du einen Schicksalsschlag erlitten oder mit finanziellen Problemen zu kämpfen?
Wahrscheinlich gab es irgendetwas, was deine Aufmerksamkeit forderte und dir Energie für andere Dinge entzogen hat – denn sonst hättest du ja die Freiheit gehabt, dich dieser bestimmten Sache, die du versäumt hast, zu widmen.
2) Du warst ein anderer Mensch
Menschen verändern sich. Manche Leute behaupten zwar etwas anderes, aber es ist eine Tatsache, dass unsere Erfahrungen uns prägen und formen. Du bist nicht dieselbe Person, wie vor 5 oder 10 Jahren, oder auch vor einer bestimmten Erfahrung. Veränderungen bringen uns neue Sichtweisen, neue Ideen und neue Prioritäten. So ist es mit allem.
Vor meinem erwähnten üblen Job war ich sehr überzeugt, ich wäre eine der Auserwählten, die es schaffen würden mit dem Bestseller. Ich wartete sozusagen nur darauf, dass es passierte. Seht ihr den Fehler? Es brauchte diese für mich damals schreckliche Situation, in der ich nicht mehr konnte – wirklich gar nichts mehr tun konnte – um zu erkennen, dass ich eine Menge Dinge selbst beeinflusse. Nicht das, was mir passiert war (da waren ganz viele Faktoren dabei, aber das ist ein eigenes Thema). Aber was ich in Zukunft tun könnte, damit es sich nicht wiederholt. Unter anderem, ob ich weiterhin am Schicksalsglauben, den ich als Kind erlernt hatte, festhalten oder Dinge selbst in die Hand nehmen sollte.
Kürzlich sah ich ein Interview mit einem Künstler, der darin erklärte, sich als junger Mensch nicht immer menschlich korrekt verhalten zu haben. Er sagte das in einer fast entschuldigenden Art und Weise. Und ich dachte so: Mensch, wie hättest du es auch besser wissen können? Doch wenn es um mein eigenes Leben geht, erscheint es mir, als hätte ich es besser wissen müssen.
Die Wahrheit ist: Hätten wir etwas besser gewusst, klarer gesehen oder mehr tun können, hätten wir es getan. Sobald wir uns fragen „Warum habe ich damals nicht … ?“, denken wir mit unserem jetzigen Wissen, unserer jetzigen Erfahrung, aus unserer jetzigen Situation heraus. (Ich z.b. habe inzwischen einen Job, der mir genug Ruhe lässt, um am Wochenende das hier zu tun.) Doch in unserem „damals“ hatten wir das alles noch nicht.
Wir wachsen durch Fehler und Rückschläge. Wir lernen von Schwierigkeiten. Wir verbessern uns dank Herausforderungen. Wären wir von Anfang an allwissend, wäre unsere Leben schrecklich langweilig. Wenn du also das nächste Mal in diese „Hätte“-Spirale gerätst, versuche, dich darauf zu besinnen. Du hast so gehandelt, wie es dir in jenem Moment richtig erschien. Etwas anderes hast du zu diesem Zeitpunkt nicht gesehen. Das einzige, was du tun kannst, ist es jetzt anders zu machen. Dich jetzt neu zu entscheiden. Jetzt das zu tun, was dir jetzt richtig erscheint. Eine andere Zeit gibt nicht.
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